Ergebnis „Dialog Schiene Nord“ am 09.10.2015

Liebe Freunde und Mitstreiter und Interessierte,

am Freitag, dem 9.10.2015, fand die letzte wirkliche Arbeitssitzung des Dialogforums Schiene Nord statt. Den Ablauf und die Eigentümlichkeiten zu skizzieren, die die vorherigen Veranstaltungen immer so unterhaltsam gestaltet haben, soll an dieser Stelle nicht erfolgen.  Vielmehr möchte ich über die Ergebnisse berichten, denn es gab welche und über die Art und Weise, wie sie zustande gekommen sind, will ich kurz berichten, denn die sind bemerkenswert. Und wir sind alle noch einmal gefordert, für den Bestand dieser Ergebnisse zu kämpfen.

Die größte Überraschung vorweg: Ich kann diesmal keine Kritik üben an der Art und Weise, wie der Moderator gestern seine Aufgabe gelöst hat. Das mag daran liegen, dass die Bürgerinitiativen mit den kommunalen Vertretern gemeinsam ein Fußballkartensystem für zu lange Redebeiträge oder richtungslose Diskussionen eingeführt haben, dass der bekennende BVB-Fan Stachowitz sofort intuitiv umsetzen konnte. So wurde (zum ersten Mal) gewährleistet, dass das anspruchsvolle und reichhaltige Programm tatsächlich mehr oder weniger vollständig durchgearbeitet werden konnte. Das umfasste die Abschlussberichte der einzelnen Arbeitsgruppen, die gutachterliche Darstellung der Alpha-Varianten durch BVU unter den Gesichtspunkten Kapazität und Wirtschaftlichkeit sowie die Vorbereitung einer Trassenempfehlung durch das Forum.

Zu den Abschlussberichten will ich nur so viel sagen, dass die Arbeitsgruppen Lärm und Umwelt und Natur sich ihre Ergebnisse hart erkämpfen mussten, weil für beide keine ausreichenden Daten durch das Forum zur Verfügung gestellt wurden. Die Geschäftsstelle vom Hoff, Bund, Land und Bahn waren schlichtweg nicht darauf vorbereitet, dass die Forumsteilnehmer, allen vorweg die BIs und dann mit konsequenter Unterstützung der Kommunen und Landkreise, dem Dialogforum eine solche Richtung geben würden. Die Arbeitsgruppen des Forums haben all das nachgeholt, was an Untersuchungen deswegen nicht vorhanden war, weil niemand mit dem gemeinsamen Willen zu einer gemeinsamen Lösung im Forum gerechnet hatte, sondern mit einer Zerstrittenheit, die einen erfolgreichen Abschluss unmöglich machen würde.

Jetzt aber zu unserem BVU-Freund Stefanos Kotzagiorgis. Dieses Gutachten war schon ein Hammer. Nicht nur, dass es in großen Teilen ein aus dem Hut gezogenes Kaninchen war, denn dem Forum wurden nur Fragmente daraus vorab zur Verfügung gestellt, und dieses wieder einmal unter Missachtung der Zustellungsfrist. Es war ein Parforce-Ritt durch Karten, Tabellen, Varianten und Kosten-Nutzen-Feststellungen, wiederum unter Missachtung der Aufgabenstellung, die Herr Kotzagiorgis zum wiederholten Mal eigenmächtig geändert hat. Das Gutachten hatte was von einem vegetarischen Gyros: irgendwie eine Mogelpackung, keiner weiß, was genau drin ist und schmecken tut es auch keinem so richtig.

Was entnehmen wir seinen Darstellungen? Für uns ist nachgewiesen, dass durch unsere favorisierte Alpha-Variante die erforderlichen Kapazitäten für 2030 erreicht werden und dass, wenn die vorgeschlagenen Umroutungen berücksichtigt worden wären, auch noch zukünftige Reserven verbleiben. Das Kosten-Nutzen-Verhältnis liegt mit 1,1 über dem angestrebten Wert von mindestens 1, so wie es für der Bundesverkehrswegeplan erforderlich ist. Alles gut, oder?

Herr Kotzagiorgis formuliert sein Fazit umständlich und vage. Was entnehmen die Kritiker dem Zahlenwerk? Nö, die Kapazitäten reichen ja trotzdem nicht, weil wir noch viel mehr Reserven brauchen und nö, kann ja gar nicht sein mit dem NKI (Nutzen-Kosten-Index), wer soll denn den ganzen Schallschutz bezahlen und überhaupt bewertet der Gutachter in seinem letzten Satz ja pauschal alle (überhaupt nicht in diesem Papier geprüften) Neubautrassen als geeigneter… Hat er das? Ja, hat er, aber warum hat er das getan, danach hatte ja schließlich niemand gefragt? Und nicht nur das hat er getan, er hat auch noch etwas anderes gesagt, ganz am Anfang. Mehr aus Flapsigkeit, aber trotzdem hat er auf die Bitte, angesichts der 50 Folien seines Vortrages möge er doch bitte von hinten anfangen, das folgende geantwortet: Ich will Sie nicht schon am Anfang demoralisieren.“ Das ist mal eine Ansage, die Vertrauen in die Unabhängigkeit eines Gutachters weckt. Allerdings hat er dann selber sein eigenes Werk in Frage gestellt, da alle Zahlen einer Überprüfung bedürften. Es ist also gar keine Expertise, sondern allenfalls ein Zwischenstand, vermutlich war das auch so gewollt. Nur gehen letztlich solche Ergebnisse und Aussagen trotzdem in die Presse, auch wenn sie gar nicht haltbar sind. Die Vertreter des BMVI (Verkehrsministerium Bund) wollten sich nicht klar äußern, das niedersächsische Wirtschaftsministerium hält die Ergebnisse für ausreichend, um Alpha zu realisieren und die Bahn hatte diese Lösung immerhin selbst ins Spiel gebracht. Also eigentlich doch alles gut?

Zumindest stellt sich die Frage, warum es ein solches Ergebnis gab. Ich kann da nur Vermutungen anstellen, aber:

Der Gutachter würde sich wohl selbst diskreditieren, weil er Alpha von Beginn an ein schlechtes Zeugnis ausgestellt hat und immer einen Neubau favorisierte,ein klares Ja im Gutachten würde die Politik zwingen, diese Variante umzusetzen und damit müsste sie

andere Optionen aufgeben, was Politik niemals macht, wenn sie nicht muss.

Ein ganz klares Ergebnis würde die Latte für zukünftige ähnliche Veranstaltungen in Bezug auf die Erwartungshaltung sehr hoch, vielleicht zu hoch hängen.

Wie peinlich ist es, dass nach 30 vergeblichen Jahren Y-Trassen-Verfahren eine ganz einfache, schnelle und vollumfängliche Lösung herauskommt, eingebracht und nachgewiesen von Land- und Forstwirten, Hausfrauen, Ärzten, Rechtsanwälten, Handwerkern, Architekten, Soldaten, Pensionären, Groß- und Einzelhändlern, Lehrern, Verwaltungsgestellten und Beamten (und, um der Wahrheit die Ehre zu geben: einigen Bahnern im Ruhestand).

Nach intensiver Diskussion hat sich die überwältigende Mehrheit dafür ausgesprochen, eine Empfehlung für Alpha als einzige Vorzugsvariante im Bundesverkehrswegeplan vorzubereiten. Und das ist das wirklich Bemerkenswerte: Keiner, auch nicht wir selbst, haben jemals damit gerechnet, dass sich Bürger, Kommunen, Landkreise und Verbände aus allen Regionen mit allen ihren unterschiedlichen Interessenlagen und Betroffenheiten so geschlossen und verantwortungsvoll, so solidarisch und in einer solchen Geschwindigkeit auf die nun zu verabschiedenden Ergebnisse einigen würden: Das Prinzip betriebliche Optimierung vor Ausbau vor Neubau, den bestmöglichen Gesundheitsschutz auf Vorsorgeniveau für alle Streckenteile, die größtmögliche Umweltverträglichkeit, das Prinzip, dass jede Maßnahme einen höheren Nutzen als Lasten aufweisen muss, die Mitsprache der Region bei der Umsetzung von Maßnahmen, die vollständige Kostenentlastung der Kommunen. Die deutliche Empfehlung am 5. November wird lauten, Alpha umzusetzen. Mehr Basis-Demokratie war selten. Also wirklich alles gut?

Die Hamburger haben gestern geäußert, sie wollten weiterhin über Neubaumöglichkeiten einzelner Trassen mit ihren Partnern im Dialogforum im Gespräch bleiben. Wenn man weiß, dass sich Hamburg im Forum ungefähr so partnerschaftlich verhalten hat, wie der Chef einer Drückerkolonne seinen Leuten gegenüber, müssen wir damit rechnen, dass die Gefahr nach dem 5. November nicht vorüber ist. Hamburg wird nicht locker lassen und welchen Kurs das BMVI wirklich verfolgt, weiß auch keiner. Also haltet Euch alle den 5. November 2015 für eine Abschlusskundgebung in Celle frei. Wir sollten mit großer Deutlichkeit zur Bekräftigung unseres Anspruchs auf regionale Selbstbestimmung und unseres Selbstbewusstseins gemeinsam mit unseren Mitstreitern eine große Party vor der Celler Congress-Union feiern. Wir wollen gemeinsam die letzten Zweifel Hamburgs ausräumen, mit wem sie sich hier anlegen würden. Wenn alle noch einmal richtig mitmachen, dann wird alles gut.

An dieser Stelle ist es angebracht, einen besonderen Dank an ganz viele Unterstützer auszusprechen: unsere Freunde von den anderen BIs, denen wir inzwischen auch persönlich freundschaftlich verbunden sind, den Bürgermeistern mit ihren Stellvertretern und Verwaltungen, den Landräten und ersten Kreisräten, unseren parlamentarischen Vertretern, den Fachleuten, die unsere Arbeit begleitet haben. Aber ein riesengroßer Dank gebührt auch allen, die im Hintergrund bis heute immer wieder mit Rat und Tat Unterstützung gegeben haben, ob beim Protestyval, auf dem Heidjerfest, in Ramelsloh, beim Kreuze-Bauen und Aufstellen, beim Rundmailschreiben und Veröffentlichen, mit Spenden oder einfach mit einem Schulterklopfen. Wir sind noch nicht ganz am Ende des Weges angelangt, aber ohne diese breite Unterstützung wären wir heute nicht kurz vor dem Ziel. Lasst uns auch das mit einer großen Demonstration unserer Region vor der Celler Congress-Union am 5. November feiern.

Nach so viel Griechisch können wir hoffentlich bald alle sagen: πάντα καλό alles gut

Christian (Χριστιανός) Böker

Aktionsbündnis gegen Trassenneubau

 

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